5. November 2019
Wieviel Bevormundung brauchen wir?
So konnte man in irgendwelchen zwielichtigen Hackerclubs, Jugendtreffs oder mit viel zu alten Freunden rumhängen und natürlich Mofas frisieren. Bestimmt war es auch diese tiefe Ablehnung gegen Bevormundung und Vorschriften, die mich antrieb, möglichst rasch in Führungspositionen zu gelangen oder gar als Unternehmer mein eigenes Glück zu suchen.
Nicht mehr ganz im Teenageralter, sass ich letzthin mit Freunden auf einer Berghütte, und wir diskutieren über Autos, CO2-Emissionen, E-Bikes, die Zukunft von Wasserstoff, Flugreisen und natürlich Greta (Letzteres, so gebe ich ehrlich zu, nicht ganz ohne Polemik). Dabei diskutierten wir natürlich auch, wie man zur Umwelt in Zukunft besser Sorge tragen könne. Zu Beginn bestand Einigkeit (keiner der Anwesenden behauptete, dass CO2 und andere Schadstoffe von Verbrennungsmotoren etwas Harmloses seien), dann aber nimmt die Diskussion eine für mich überraschende Wende.
Trotz meiner tiefen Abneigung gegen Regulation und Bevormundung lande ich im Lager, das Zwang, Einschränkungen und Kontrolle durch den Staat fordert, da wir nie von selber unser Verhalten ändern werden. Als ökonomisch denkender Mensch mache ich also lauter Vorschläge, wie man dank Technologie die Verursacher direkter und intelligenter in die Pflicht nehmen könnte (zum Beispiel individualisiertes Roadpricing anstelle von teurem Treibstoff).
Und da geschieht es: Vorbei ist es mit der Einigkeit. Nein, höhere Energiepreise, Einschränkungen des Individualverkehrs in Städten, Limitierung von Flugreisen, das geht natürlich gar nicht. Auf meine Frage, wieso nicht, lautet die Antwort, dies sei ungerecht, da sich die Reichen trotzdem alles leisten und erlauben könnten.
Also, um einer scheinbaren sozialen Gerechtigkeit willen, sollen alle die Umwelt gleich stark verschmutzen dürfen? Ich hielt diese Argumentation für völlig absurd. Wer sonst als die grosse Mehrheit kann denn durch sein Verhalten die Schädigung der Umwelt verhindern?
Wenn ich dann allerdings den Lobbyisten von Transportunternehmen, Energieerzeugern, Touristikunternehmen oder in zunehmendem Mass natürlich auch Vertretern unserer Industrie, mit ihrem gigantischen Energieverbrauch, zuhöre, so ist es eben genau dieses Argument: Einschränkungen sind ungerecht, denn mich/meine Industrie trifft es ganz besonders und ich verliere an Wettbewerbsfähigkeit und muss Leute auf die Strasse stellen.
Als ich kürzlich den Vorschlag von Roger Nordmann betreffend Flugkontingente las, da kam er wieder, mein Anti-Bevormundungs-Reflex. Und irgendwie erinnerte ich mich an meine Diskussion in der Berghütte und fragte mich, ob wir nicht doch etwas mehr Bevormundung brauchen.
Natürlich müssen wir intelligent regulieren (individualisiertes Roadpricing nach Verkehrsaufkommen, variable Preise nach Tageszeit im ÖV – alles Dinge, die dank ICT möglich sind). Letztlich wird es aber nicht ohne Verzicht gehen. Wenn es keine absoluten Verbote sein sollen, dann wird man dies direkt oder indirekt über das Portemonnaie machen müssen. Daran ist aber nichts Ungerechtes. Auch heute kann sich nicht jeder alles leisten. Ungerecht ist aber, dass ein paar wenige Generationen, zu denen wir gehören, ökologisch in Saus und Braus leben durften und viele Generationen nach uns nicht mehr – oder gar nicht mehr – leben dürfen.
Thomas Flatt ist Präsident swissICT, Unternehmer, Berater und Verwaltungsrat (darunter Verwaltungsratspräsident der SwissSign Group, welche die SwissID herausgibt)
(Diese Kolumne «Seitenblick» erschien erstmals im swissICT Mitgliedermagazin vom November 2019 und muss nicht die Meinung von swissICT wiedergeben.)