5. Juli 2022
«Candidate experience» – wie Sie den Unterschied im Werben um die besten Talente machen
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Tatsache ist, dass sich die Arbeitnehmer:innen in einer ausgesprochen starken Position befinden und sich die Situation für die Arbeitgeber eher noch verschärfen dürfte als das eine Erholung in Sicht wäre. Nichtsdestotrotz hat sich der Bewerbungsprozess bei zahlreichen Unternehmen praktisch nicht verändert. Man führt weiter was sich in der Vergangenheit bewährt hat und blendet die Realität, bewusst oder unbewusst, aus.
Unternehmen müssen sich im Klaren sein, dass der Fachkräftemangel keine temporäre Anomalie ist, sondern in diesem Jahrzehnt ein konstanter Begleiter bleiben wird. Um auch in Zukunft erfolgreich rekrutieren zu können, ist es für Unternehmen unvermeidbar, sich der Herausforderung zu stellen und adäquate Massnahmen umzusetzen. Kandidatinnen und Kandidaten als Interessenten zu betrachten, welche sich bei Unternehmen um einen Job bemühen, entspricht nicht mehr der Realität.
Viel mehr dürfte die Entwicklung dahin gehen, dass Unternehmen bei der Mitarbeitergewinnung genauso agieren, wie Sie das bei der Kundengewinnung seit eh und je praktizieren. Wie differenziere ich mich von meinen Mitbewerbern? Wie baue ich tragfeste Beziehungen auf? Wie schaffe ich Vertrauen? Was muss ich investieren, um meine Ziele zu erreichen?
Solche tiefgreifenden Veränderungen lassen sich nicht über Nacht umsetzen. Mit einer optimalen «candidate experience» können jedoch die Weichen für eine erfolgreiche Rekrutierung gestellt werden.
Das 1×1 der «candidate experience»:
Die Bewerbungsphase
Machen Sie es den Interessentinnen und Interessenten möglichst einfach ihre Bewerbung einzureichen. Vermeiden Sie es, schon zu Beginn alle Dokumente (Zeugnisse, Diplome, etc.) einzufordern oder nach einem Motivationsschreiben zu fragen. Das primäre Ziel ist in eine Interaktion mit den Bewerbenden zu treten. Trifft zudem eine Bewerbung ein, sollte diese innerhalb von wenigen Tagen, positiv oder negativ, beantwortet werden.
Interview-Prozess
Ein schlanker und klar definierter Ablauf, was die Bewerbenden in den anstehenden Gesprächen erwartet, sorgt für Transparenz. Viele Menschen assoziieren Bewerbungsgespräche nicht positiv und sind entsprechend angespannt und nervös. Wer aufzeigt was auf die Kandidatinnen und Kandidaten zukommt, hilft Ängste und Bedenken abzubauen und ein positives Erlebnis zu schaffen.
Kommunikation
Eine offene und transparente Kommunikation ist ein entscheidender Faktor im Interview-Prozess. Versprechen Sie nichts was Sie nicht halten können. Seien Sie offen und ehrlich zu den Bewerbenden, Sie werden es schätzen. Verstecken Sie sich nicht hinter E-Mails, sondern suchen Sie, wenn möglich, den telefonischen Kontakt.
Absagen
Nach einem oder mehreren persönlichen Interviews ist eine Absage per E-Mail nicht adäquat. Die Bewerbenden haben sich viel Zeit für die Gespräche genommen, inkl. Vorbereitung und Anreise, womit automatisch auch eine Erwartungshaltung entsteht. Auch wenn der Gedanke jemandem mündlich abzusagen im ersten Moment etwas Unbehagen auslöst, werden Sie über das positive Echo überrascht sein.
Zudem können Bewerbende, welche aktuell ihre Anforderungen nicht erfüllen, mittelfristig relevant für ihr Unternehmen werden. Und im besten Fall werden Sie zum Botschafter ihres Unternehmens, denn in ihrem persönlichen Umfeld befinden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten für Sie.
Verbindlichkeit
Seien Sie pünktlich und halten Sie Termine ein. Bewerbende physisch oder virtuell mehrere Minuten auf deren Gesprächspartner:in warten zu lassen, ist ein «no go». Genauso verhält es sich mit der Kommunikation im Verlauf des Interview-Prozesses. Wird den Bewerbenden ein Bescheid an einem bestimmten Tag in Aussicht gestellt und dann nicht eingehalten, geht Vertrauen verloren und das Interesse der Bewerbenden lässt nach.
Mindset
Die begehrten Talente haben in der Regel zahlreiche Optionen und sitzen somit am längeren Hebel. Dies gilt es im Rahmen des Rekrutierungsprozesses entsprechend zu berücksichtigen. Der Bewerber wird zum Kunden – und der Kunde ist König.
Du oder Sie?
Das Duzen hat sich in sehr vielen Unternehmen etabliert und ist Standard. Dennoch werden immer noch viele Stelleninserate in der Sie-Form ausgeschrieben und in den Interviews wird gesiezt. Damit schaffen Sie eine Distanz zwischen sich und den Bewerbenden, welche insbesondere bei jüngeren Menschen keine Begeisterungsstürme auslöst. Eine Umstellung vom Sie zum Du muss jedoch konsequent umgesetzt werden, ansonsten wirkt es aufgesetzt und somit nicht authentisch.
Im Werben um die besten Mitarbeiter:innen zählen oft die kleinen Dinge, welche über eine Zu- oder Absage entscheiden. Wer einen persönlichen und wertschätzenden Umgang mit den Kandidatinnen und Kandidaten sicherstellt, hat die besten Chancen auch zukünftig erfolgreich zu rekrutieren. Wer es aber versäumt sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, wird sich auf stürmische Zeiten einstellen müssen.
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