25. April 2025
Mythos Silicon Valley: Wie attraktiv ist die Schweiz für Startups?

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: 2018 flog ich in die USA und war eingeladen, in Stanford über das StartupÖkosystem der Schweiz zu referieren. Eigentlich wollte ich auf dem Flug entspannen, doch das Gespräch mit meinem Sitznachbarn, einem Fintech-Gründer aus der Schweiz, war zu spannend. Und plötzlich war die Idee da: Ich wollte Venture Capital (VC) mit einer Softwarelösung revolutionieren. Mit einer Plattform, die KI nutzt, um die besten Startups zu finden und zu bewerten.
Diese Eingebung war nicht ganz zufällig. Seit über zehn Jahren bin ich in der StartupWelt verankert: als Merger- & AcquisitionBeraterin, Venture-Capital-Investorin und Leiterin eines Innovation Space. Ich habe unzählige Startups begleitet und einige finanziert. Erfahrungen, die meinen Blick auf Herausforderungen und Chancen in der Schweizer Startup-Szene prägten.
Faszination Silicon Valley: Ein Blick hinter die Kulissen
Das Silicon Valley ist wohl das Mekka für alle, die etwas bewegen wollen. Die Energie und das Tempo dort sind beeindruckend – «the sky is the limit», aber der Wettbewerb ist hart! Alles ist mindestens um den Faktor 10 grösser. Das zeigte mir der Besuch bei einem Venture Capitalist, der sich über seine «Zombie-Firmen» beklagte. Es ging um Unternehmen mit USD 30 Mio. Umsatz, die nicht weiter wachsen. In der Schweiz wäre das ein Grund zur Freude. Doch hinter dem Glamour verbirgt sich auch harte Realität. In einem riesigen Co-Working-Space lernte ich Gründer:innen kennen, die neben ihren Vollzeitjobs an ihrer Idee feilten – so wie 300 andere Menschen in kleinen Cubicle-Büros. Ihre Motivation war grenzenlos, doch die meisten von ihnen würden scheitern, ihre gesamten Ersparnisse verlieren und dennoch träumten sie unbeirrbar vom grossen Durchbruch.
Was mich am meisten beeindruckte, waren der Optimismus und die Fähigkeit, sich in jedem Alter neu zu erfinden. Bei einem Pitch-Event traf ich einen 72-jährigen Gründer, der mit derselben Energie wie junge Entwickler:innen seine Software präsentierte – etwas, das ich so nirgends gesehen hatte.
Standortvorteile Schweiz: Stabilität, Innovation und Lebensqualität
Trotz meiner Faszination für das Silicon Valley sehe ich in der Schweiz unbestreitbare Vorteile für Startups und Technologiefirmen: Die politische und wirtschaftliche Stabilität ist ein starkes Argument, gerade in Zeiten globaler Unsicherheit. Ein ruhiger, fast schon langweiliger Ort wie die Schweiz zieht gut ausgebildete Fachkräfte an, die eine sichere und planbare Zukunft suchen. Hervorragende Hochschulen wie die ETH, die EPFL oder auch das Fachhochschulnetz haben starke Technologiecluster geschaffen, die von staatlicher Förderung profitieren. Google feierte gerade sein 20-jähriges Jubiläum in der Schweiz, und auch neuere Player wie OpenAI oder Anthropic haben sich hier niedergelassen.
Doch durch den Zuzug qualifizierter Fachkräfte kommt es auch zu Herausforderungen: Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie die Integration in die Gesellschaft – viele Expats bleiben in einer englischsprachigen «Tech-Bubble».
Erfolgsgeschichten: Schweizer Startups auf der Weltbühne
Gibt es erfolgreiche Schweizer Startups und was braucht es für den Erfolg? Drei Beispiele, die ich begleiten durfte:
- Anybotics: Der Roboterhund des ETH-Spin-offs Anybotics spielt in der Weltliga mit und verfügt heute über USD 100 Mio. Risikokapital. Früh diskutierte ich mit den Gründern über die Möglichkeit, mit externen Investor:innen schneller zu wachsen. Damals war das Interesse noch gering, doch Jahre später wurde Swisscom Ventures eine der ersten Investorinnen.
- Zitadel: Das St. Galler Startup entwickelt Software für Entwickler:innen. Schweizer Investor:innen waren skeptisch – Open Source galt als unattraktives Investment. Also überarbeiteten wir die Strategie und suchten alternative Finanzierungen. Dann der Anruf aus dem Silicon Valley: Ein Top-VC investierte, der Hauptgründer zog bald in die USA und die Firma ist jetzt global aufgestellt. Ein Erfolg – aber auch ein Beispiel für den resultierenden «Brain Drain».
- Lemoptix: Eines meiner ersten AngelInvestments war das EPFL-Spin-off Lemoptix, das Laser-Miniprojektoren entwickelte. Ich stieg spät ein, als die Verhandlungen mit Intel bereits liefen. Der Verkauf brachte einen guten Return, doch Intel stellte später den Bereich ein, in dem die Lemoptix-Technologie für AR-Brillen vorgesehen war.
Herausforderungen und Chancen: Die Zukunft des Schweizer Startup-Ökosystems
Wir haben viel erreicht. Diese Beispiele zeigen auch, wo die Schweiz noch Potenzial hat:
- Risikobereitschaft: Anybotics ist erfolgreich, doch die Konkurrentin Boston Dynamics operiert mit USD 1 Mrd. in einer ganz anderen Liga. Schweizer Gründer:innen denken oft zu vorsichtig und setzen zu früh auf profitables Wachstum, statt das volle Marktpotenzial auszuschöpfen.
- Finanzierung: Zitadel fand erst in den USA Investor:innen. Laut Swiss Venture Capital Report 2024 gibt es noch Luft nach oben. In frühen Runden wird oft erwartet, dass Forschung und Entwicklung durch staatliche Fördergelder finanziert werden – Risikokapital gibt es meist erst, wenn ein Produkt existiert. Hier müssen neue Modelle entwickelt werden, um innovative Startups frühzeitig zu unterstützen und ihnen später in der Wachstumsphase das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen.
- Exitstrategie: Lemoptix zeigt, dass Schweizer Deep-Tech-Startups attraktive Übernahmekandidat:innen sind. Verkäufe im Bereich von USD 30 bis 100 Mio. sind plausibel, aber der Traum vom Milliarden-Exit bleibt oft unerfüllt. Das bedeutet, dass weniger Kapital in den Schweizer Markt zurückfliesst und erneut investiert wird.
Das sind drei Beispiele, die mich auf meiner Reise ins Silicon Valley auf die Idee für mein eigenes Startup brachten: Raized.ai. Mit einer KI-gestützten Plattform helfen wir Investor:innen und Innovationsabteilungen, Technologietrends zu verstehen, Märkte zu analysieren und die besten Startups zu finden. Schlussendlich geht es darum, Transparenz in den Venture-Capital-Markt zu bringen und Investor:innen mit den innovativsten Unternehmen zu vernetzen. Trotz oder gerade wegen solcher Herausforderungen erscheint es mir wichtig, ein gesundes Mittelmass zwischen selbstbewusster Präsentation unserer Stärken und pragmatischem Realismus zu finden.
Die Schweiz hat ein enormes Innovationspotenzial. Es gilt, dieses gezielt weiterzuentwickeln, statt dass wir uns in einer defensiven Haltung verlieren, wenn wir nicht als das «Innovations-Weltmeisterland» wahrgenommen werden. Ein pragmatischer Blick auf unsere Stärken und Schwächen wird uns helfen, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.