19. Mai 2021
Wie besetzt man einen Unternehmens- architekten?
von Ivan Kovynyov, Rolf P. Maisch, Martina Giger
Der Beruf eines Unternehmensarchitekten (EA-Architekten) gehört aktuell zu den zentralen ICT-Berufen. Beinahe jede IT-Organisation sucht derzeit nach einem Unternehmensarchitektinnen und alle haben schon einmal vor der Herausforderung gestanden, diese Stelle zu besetzen.
Aus diesem Grund haben wir 38 aktuelle Stellenausschreibungen der grossen Schweizer Firmen und Organisationen analysiert und mit dem swissICT-Profil eines Unternehmensarchitekten verglichen. Hier sind unsere zentralen Erkenntnisse.
Fach- und Methodenkompetenz: Erwartung in Bezug auf Business-Impact ohne BWL-Kenntnisse
Im Unterschied zum swissICT-Profil, welches Architektur stärker in Domänenarchitekturen unterteilt (Software-, Daten-, Applikations-, Netzwerkarchitektur), wird in der Praxis nach generischem Architekturwissen gefragt. Kenntnisse konkreter Frameworks wie TOGAF werden selten nachgefragt.
Mehr als 70 Prozent der Unternehmen verlangen hingegen zusätzlich Kenntnisse gängiger Technologien wie Cloud, AI, Big Data und spezifische Kenntnisse von den im Unternehmen eingesetzten Produkten wie Microsoft Azure, Oracle DB und SAP. Es stellt sich hier die Frage, ob diese Anforderung eher den Pool an potentiellen Kandidatinnen zu sehr einengt und ob diese Kenntnisse in der koordinierenden Rolle des Architekten überhaupt so stark gefordert sind.
Anders ist es in Bezug auf die BWL-Kenntnisse. Obwohl fast 90 Prozent die Aufgabe «Veränderungen des Business durch ICT» beim EA-Architekt sehen, verlangen weniger als 10 Prozent der Stellenausschreibungen BWL-Fachwissen. Vermutlich ist es dazu gekommen, weil die meisten Stellenausschreibungen durch die IT formuliert wurden.
Während das swissICT-Profil sich mehr auf Konzeptionsaufgaben konzentriert, verlangen Unternehmen in ihren aktuellen Stellenausschreibungen ein Profil, welches gleichgewichtig Konzeption sowie Umsetzung berücksichtigt und beide in beinahe allen Fällen nachfragt. Dies erscheint plausibel, denn die Qualität der Konzeption zeigt sich direkt während der Umsetzung.
Business- und stellenbezogene Kompetenz: Neue Impulse für die Geschäftsentwicklung, Umsetzungskompetenz und Change-Management
Wesentliche Unterschiede zwischen dem swissICT-Profil und den analysierten Stellenausschreibungen ergeben sich in den folgenden Bereichen:
- Während das swissICT-Profil den Fokus auf die Prozessoptimierung legt, verlangen Unternehmen mehrheitlich nach Impulsen für die Geschäftsentwicklung.
- Das swissICT-Profil sieht Enterprise Architektur eher als eine Management-Rolle, was in den Stellenausschreibungen selten reflektiert ist und nur in weniger als 40 Prozent der Fälle explizit gemacht wird.
- Enterprise Architect bleibt eher eine IT- als eine Business-Rolle, da die Gestaltung der IT-Architektur die Hauptaufgabe bleibt und bei allen Stellenprofilen im Vordergrund steht.
- Umsetzungskompetenz wird bei 95 Prozent der Ausschreibungen nachgefragt und ist somit fast gleich wichtig wie die Gestaltungskompetenz bezüglich Architektur.
- 50 Prozent der Vakanzen verlangen Kompetenz in Bezug auf das Stakeholder Management. Explizite Transformations- bzw. Change-Management Kompetenzen sind nur in 11 Prozent der Fälle nachgefragt und konzentrieren sich mehrheitlich auf die Vakanzen innerhalb der Consulting-Branche. Beide Kompetenzbereiche sind im swissICT-Profil nicht aufgeführt.
Persönliche Kompetenz: Cultural Fit, Verhandlungsstärke und Überzeugungskraft sind gefragt
Die Persönlichkeitsprofile in den analysierten Stellenausschreibungen orientieren sich stark an den Werten der jeweiligen Unternehmen und an der konkreten Einstufung bzw. hierarchischen Eingliederung der Funktion. Die Beherrschung der offiziellen und inoffiziellen Firmensprache ist essenziell. Dies erklärt die Anforderung an Deutschkenntnisse.
Bei 75 Prozent der analysierten Stellenausschreibungen wird Kommunikation als persönliche Kompetenz nachgefragt. Diese ist eine Voraussetzung dafür, dass die jeweiligen Expertinnen die ausgearbeiteten Konzepte und Entscheidungsvorlagen sehr gut mit der Organisation abstimmen können. Die Überzeugungskraft spielt dabei ebenfalls eine wesentliche Rolle und wird in fast 60 Prozent der Fälle nachgefragt.
Unsere Empfehlungen und Tipps für eine optimale Besetzung
- Schärfung des Anforderungsprofils bei der Erstellung der Stellenausschreibung: Das Anforderungsprofil soll um BWL-Kenntnisse ergänzt werden, zum Beispiel Kostenabschätzungen, Business Case-Erstellung, TCO-Berechnungen usw. Das Implementierungs-Knowhow soll ebenfalls ein Bestandteil des Profils werden. Hier soll vor allem geklärt werden, welche Rolle ein EA-Architekt bei der Umsetzung von Projekten einnehmen soll: Konzeption, aktive Projektmitarbeit, Review, Veto-Recht, Koordination etc. Umfassende Kenntnisse spezifischer Technologien und eingesetzter Produkte reduzieren den Pool möglicher Kandidat*innen. Deshalb soll geprüft werden, ob diese Kenntnisse für die Ausübung der Rolle relevant sind.
- Weiterentwicklungspotenzial eines Mitarbeiters berücksichtigen: Es soll in Betracht gezogen werden, dass eine Person «nur» die grundlegenden Skills erfüllt, jedoch mit entsprechenden Schulungen und Mentoring in die Aufgabe hineinwachsen kann. Dies kann insbesondere bei internen Besetzungen eine gangbare Lösung sein.
- Anforderungen nicht zu breit definieren: Die meisten Stellenausschreibungen definieren ein sehr breites Profil aus Technologie, Business und Transformationsfähigkeiten. Alle in einer Person zu finden, wird daher sehr schwierig. Allenfalls kann die Option in Betracht gezogen werden, die Aufgaben und Verantwortungen auf unterschiedliche Personen aufzuteilen. Hier bietet sich insbesondere eine Aufteilung in Business- und Technologieaffinität an.
- Organisatorische Voraussetzungen klären: Hohe Erwartungen an einen EA-Architekten resultieren in hohen Anforderungen. Hier empfiehlt sich eine Gesamtbetrachtung der Architektur-Management-Funktion und ggf. eine Umverteilung der Aufgaben auf mehrere Köpfe. Es müssen Strukturen, Prozesse und Abläufe geschaffen werden, welche die Einbettung dieser neuen Rolle in der Organisation sicherstellen.
Dataset und Methodik
Das analysierte Dataset umfasst 38 Stellenausschreibungen von jobs.ch, welche unter den Stichworten Enterprise Architect, Unternehmensarchitekt, ICT Architect, IT Architect, ICT Business Architect im Zeitraum Dezember 2020 veröffentlich wurden. Die Stellenausschreibungen wurden gegen das swissICT-Profil in drei Kategorien gemappt: Fach- bzw. Methodenkompetenz, Business- und stellenbezogene Kompetenz und persönliche Kompetenz.
Jedes Stellenprofil wurde gegen die einzelnen Kompetenzen und nach «Vorhandensein» sowie Ausprägung der jeweiligen Kompetenz geprüft. Die Ausprägung wurde wie folgt festgelegt: 1 = geringe Anforderungen bzw. Wissen/Erfahrung/Kompetenz bis 4 = sehr hohe Anforderungen.
Weiter wurden die Profile nach Branche (Dienstleistungen, Consulting, Industrie, öffentlich) und Rolle (C-Level, Teamleitung, Teammitglied, Stabs- bzw. Koordinationsstelle) des Stellenprofils eingeordnet und auf Unterschiede analysiert.
Autor: Ivan Kovynyov ist Principal Business Consultant bei Zühlke in Zürich und berät die Kunden im Bereich der CIO Advisory. Ivan Kovynyov studierte Wirtschaftsinformatik an der Universität Karlsruhe und absolvierte sein MBA-Studium am Imperial College London und New York University. Ivan Kovynyov ist Autor und schreibt für diverse Online-Medien zu den Themen der Einführung von Agilität, der digitalen Transformation in Unternehmen, Digitalisierung von Prozessen und Innovation. Der Fokus seiner Beiträge liegt auf der Schnittstelle zwischen Business und IT.
Co-Autor:innen: Rolf P. Maisch, Martina Giger
Bild: Mimi Thian on Unsplash
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