19. Januar 2021
Gegen unmenschliches Design
von Hannes Gassert, Liip AG
Design wirkt. Und zwar weit darüber hinaus, ob eine App hübsch anzusehen, effizient nutzbar oder finanziell lukrativ ist. Design, gerade auch digitales, wirkt ebenso auf unseren Geist, unser Gehirn und unsere Gesundheit.
Messbar ist dies an uns: Ist deine Aufmerksamkeitsspanne grösser als vor 10 Jahren? Kaum jemand sagt hier «Ja». Kaum jemand hat heute mehr Zeit für sich als früher. Kaum jemand erfährt heute noch wohltuende Langeweile. Die Folgen sind ungesund: digitales Suchtverhalten oder Depressionen als Schattenseite der perfekte Selbstdarstellung auf Social Media sind nur zwei davon.
Menschliche Schwächen als Design-Ziel
Was sich am Individuum feststellen lässt, schlägt sich folgenreich in der gesamten Gesellschaft nieder: in der extremen Polarisierung des politischen Diskurses auf Social Media etwa, Manipulation und Fake News inklusive.
Design, das aktiv menschliche Schwächen attackiert, steht mit hinter all diesen Entwicklungen. Wenn etwa die Suchmaschine einer bekannten Video-Plattform zur Suche nach «flat earth» vor allem Videos bringt, die spektakulär «beweisen», dass die Erde eine Scheibe sei. Oder wenn ihre Empfehlungs-Algorithmen nach Diät-Videos Magersucht-Videos empfehlen, dann genau aus diesem Grund: Diese Designentscheidung generiert mehr Traffic – mehr «Engagement». Wir alle lassen uns fesseln durch immer extremere Inhalte.
Ganz ähnliches gilt für den «Infinite Scroll» auf Plattformen, die uns uns verlieren lassen, statt uns die Möglichkeit zu geben, innezuhalten und zu fragen, was wir eigentlich suchten. Wir lassen uns trainieren zu idealen Konsumenten, so gut tut ein Retweet, so schön sind die Likes, so gemein ist manchmal «Gamification».
Gehirne aus der Steinzeit, Technologien aus der Zukunft
Solches Design ist ungesund, es ist nicht humanes Design. Denn ein Interface ist human, wenn es menschlichen Bedürfnissen entspricht und rücksichtsvoll mit menschlichen Schwächen umgeht. Denn hier treffen unsere Gehirne aus der Steinzeit auf Technologien aus der Zukunft. Und unsere Institutionen aus dem Mittelalter sind dagegen derzeit vollständig machtlos. Der Schaden dieser ausbeuterischen Design Patterns an der Produktivität und der psychischen Gesundheit lässt sich kaum beziffern. Aber er ist hoch.
Nun aber regt sich dagegen Widerstand. Ehemalige Designerinnen und Entwickler genau solcher Mechanismen haben sich zum «Center for Humane Technology» zusammengeschlossen, darunter Aza Raskin, der reuige Erfinder des verheerenden Infinite Scrolls. Sie stellen sich menschenfeindlichem extraktiven Design entgegen und fordern ein Umdenken. Hin zu Software, die Selbstbestimmung, und Achtsamkeit, sozialen Austausch und echte Menschlichkeit ins Zentrum stellt. Ihr Argument: Wir diskutieren viel darüber, was passiert, wenn künstliche Intelligenz die menschliche übersteigt. Stattdessen sollten wir darüber sprechen, was passiert, wenn sie menschliche Gefühle überrumpelt und die menschlichen Schwächen ausnutzen.
Enthaltsamkeit ist dagegen kein Mittel, genauso wenig wie Ethik-Trainings oder einfach nur die Eigenverantwortung eines und einer jeden.
Auch hier in der Schweiz muss das für unsere Branche bedeuten, immer mehr kritisch zu reflektieren, was echter technologischer und menschlicher Fortschritt für uns bedeutet. In 10 Jahren wird es vielleicht sein wie mit dem Rauchen: Wir haben es ja eigentlich immer gewusst, dass es uns nicht gut tut. Aber auch diese Epidemie haben wir miteinander in den Griff bekommen. Einigermassen zumindest.
Autor: Hannes Gassert ist Mitgründer von Liip.
Bild: zvg / Liip
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Mehr zum Center for Humane Technology: Das Center for Humane Technology ist in der Schweiz noch praktisch unbekannt. Hannes Gassert, Mitgründer der Digitalagentur Liip, möchte das ändern und die Prinzipien humaner Technologie auch hier bei uns zu verankern. Da Fragen der digitalen Ethik immer mehr ins Blickfeld von Management und Politik rücken, dürfte sich hier bald mehr bewegen. Mehr Informationen zum Thema finden sich unter https://humanetech.com.